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Annehmen, was ist

Silke Tsafrir • 9. Januar 2021

Den Dingen erlauben, so zu sein und sich auf ihre Weise zu entfalten

Akzeptanz - annehmen, was ist – dies ist eine der wichtigsten Achtsamkeitsqualitäten, mit denen wir uns beschäftigen, wenn wir mit der Achtsamkeitspraxis beginnen. Diese Eigenschaft ist für viele Menschen aber eher ungewohnt, und sie fragen: „Aber ich kann doch nicht alles akzeptieren oder hinnehmen?“ 

Betrachten, ohne zu bewerten

Hier ist auf keinen Fall gemeint, alles stoisch hinzunehmen. Es geht darum, die Dinge ohne Filter, ohne Wertung zu betrachten, ohne sie gleich zu interpretieren und sie in eine Schublade zu stecken. Es bedeutet, ganz wach und präsent zu sein und die Dinge aus einer übergeordneten, neutralen Perspektive heraus zu betrachten. Dies ist nicht leicht. Automatisch gleichen wir Situationen und Erlebnisse mit bereits gemachten Erfahrungen ab, mit unseren Vorstellungen und Vorlieben, wie die Dinge zu sein haben, was wir als wünschenswert empfinden oder ablehnen. 
Alles wird passend gemacht, damit es in unser ganz eigenes Schema passt, so wie Pippi Langstrumpf es macht: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Wenn wir zum Beispiel mit einer kleinen Gruppe eine Szene auf der Strasse beobachten, dann sieht jeder vordergründig zwar das gleiche Bild, aber jeder sieht es durch seine eigene „rosa Brille“, den eigenen Filter, in dem alles enthalten ist, was wir bisher im Leben erfahren haben, sei es positiv oder negativ. Dies passiert in Bruchteilen von Sekunden und ist auch nicht verwerflich. So sind wir als Menschen „gestrickt“. 
Solange uns dies aber nicht bewusst ist und wir auf Autopilot geschaltet sind, kann nichts Neues passieren, und wir bleiben in unserer eigenen kleinen Seifenblase, in unserer eigenen Welt, die begrenzt ist. Manchmal wundern wir uns dann auch noch, dass wir nicht weiterkommen. Unsere Handlungen folgen dann unserer Bewertung der Erfahrung, so wie wir es schon seit Jahren gemacht haben. 
Unsere Bewertungen sind meistens ein Nein zu dem, was ist. Sie sind eine Ablehnung oder Anders-Haben-Wollen dessen, was ist.

Sich für den Moment öffnen

Wenn wir die Situation aber erkennen als das, was sie ist und uns für den Moment öffnen, der sich uns bietet und auch den damit verbundenen Gefühlen erlauben, sich im Körper auszubreiten, dann sind wir im unmittelbaren Erleben. 

Ich kann mich dann fragen:
Was passiert gerade mit mir? 
Welche Gedanken sind da?
Welche Gefühle nehme ich wahr? 
Wo genau spüre ich diese Gefühle im Körper?

Den gegenwärtigen Moment erkennen und annehmen

Wenn ich den Moment so bewusst erkenne, ihn sozusagen wissenschaftlich untersuche, in den Körper reinspüre und mir erlaube, die Gefühle zu fühlen, dann kann ich den Moment im nächsten Schritt auch annehmen. Ich würdige alle Aspekte und bin unmittelbar mit Haut und Haar beteiligt, mit meinem ganzen Sein. Ich halte den Raum für das, was ist. 

Aus dieser annehmenden Haltung heraus kann ich abwägen, was ich tun möchte. Es gehört zur Praxis, die automatischen Bewertungen zu erkennen, ihnen aber keinen Raum zu geben und bei der direkten Erfahrung zu verweilen, die gegebenenfalls anders ist als erhofft. Somit kann ich innerlich weiter werden, offener und mit der Zeit auch gelassener.

Ich verweile im Gewahrsein dessen, was ist, bin lebendig, aufnahmebereit und lasse mich berühren, von der wahren Natur der Dinge, vom Leben selbst. Dieses genaue Hinschauen ermöglicht mir, heilsame Entscheidungen zu treffen und konstruktive Lösungen zu finden, direkt aus dem Herzen heraus und aus der Verbindung zu mir selbst. Manchmal weiß ich nicht, was zu tun ist und brauche Zeit. In solchen Momenten reicht auch ein Innehalten und ein Vertrauen auf das „innere Wissen“ und die Hingabe an das „nicht Wissen“ in der momentanen Situation. Das Wissen braucht gelegentlich die Nacht, um darüber zu schlafen, bis es sich einstellt oder aber auch mehr Zeit. Hier geht es jetzt darum anzunehmen und nicht automatisch aus der Ablehnung heraus zu handeln.
Unser Ego bewertet ständig, woraus sehr viel Stress entsteht. Sein lassen und annehmen bewirkt dagegen Einfachheit im Sinne von sich entspannen in die Situation hinein, wenn die Lage gerade nicht zu ändern ist. Es macht die Situation nur schwerer, wenn ich sie ablehne, damit hadere und gegen sie ankämpfe. Abwägen, entscheiden, was zu tun ist und entsprechend zu handeln sind dann die nächsten Schritte.

Selbstannahme 

Die annehmende Haltung bezieht sich nicht nur auf Situationen und andere Menschen, sondern auch auf uns selbst und unser gesamtes Sein als Menschen. Dies ist nicht selbstverständlich, denn oft hat sich das Gefühl von „nicht gut genug zu sein“, tief in uns verankert und begleitet uns vielleicht schon seit Kindertagen. Wir können lernen, Selbstmitgefühl zu entwickeln und uns auszusöhnen mit unseren Schwächen und Unzulänglichkeiten und uns bewusst machen, dass Teile von uns hervorragend sind. Wir können unseren inneren Kritiker einmal selbst kritisch betrachten. 
Wer behauptet denn, dass wir fehlerfrei und perfekt sein müssen?
Die annehmende Haltung darf auch nicht von unseren äußeren Handlungen oder Taten abhängen, die wir als gut oder schlecht empfinden, sondern aufgrund der Tatsache heraus, dass wir einzigartige Individuen sind, die mit einem Cocktail an Talenten und Eigenschaften ausgestattet sind und eben auch mit Schwächen. Wir haben vielleicht verinnerlicht, dass Liebe oder Angenommensein früher von guten Taten oder Noten abhing, aber heute haben wir die Möglichkeit, auch eine vermeintliche Panne so anzunehmen, wie sie ist und den Lerneffekt daraus mitzunehmen und daran zu wachsen. 

Alles Liebe,
Silke  

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